Das Magazin der
Initiative Lebensmitteldose

Das Risiko lauert überall. Die Lösung auch

Vom Feld bis auf den Teller durchlaufen Lebensmittel verschiedene Wertschöpfungsstufen – und alle bergen ein Risiko für Verluste und Verschwendung. Wir haben uns den Prozess einmal näher angeschaut und werfen einen Blick auf Lösungsangebote von Industrie und Handel.

Von Mona Fornol
Auf dem Acker
Germany’s next Gurke?
Mit der Verordnung 1677/88/EWG zur Maximalkrümmung der Salatgurke machte die EU vor über 30 Jahren Schlagzeilen. Auch wenn es die Vorschrift längst nicht mehr gibt, die Idealvorstellung, wie unser Obst und Gemüse auszusehen hat, ist geblieben. Und das setzt das Grünzeug mächtig unter Druck: Nur wer wirklich perfekt aussieht, die richtige Form, Farbe und Größe vorweisen kann, hat überhaupt erst eine Chance, im Supermarkt auserwählt zu werden. Das sorgt nicht nur dafür, dass unglückliche Kandidaten im Regal zurückbleiben – viele schaffen es erst gar nicht dorthin. Was tun? Immer mehr Supermärkte bieten mittlerweile gezielt Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern an. Darunter Äpfel, die durch Hagel beschädigt wurden, krumm gewachsene Möhren oder Gemüse, das nach extremer Trockenheit etwas blasser oder kleiner ausfällt. „Wir nehmen unseren Landwirten Obst und Gemüse mit optischen Mängeln ab und zeigen, dass ungewöhnliche Formen keine Auswirkung auf gesunde Lebensmittel und einen vollwertigen Geschmack haben“, erläutert beispielsweise Markus Mutz, Einkauf Obst und Gemüse bei Kaufland.

Gleiches gilt übrigens für die Lebensmitteldose: Auch ihr sind Kandidaten mit optischen Abweichungen willkommen! Ihre Weißblechhülle erhalten Mais, Bohnen, Tomaten und Co. dabei schon wenige Stunden nach der Ernte. Vitamine und Nährstoffe werden im Frischetresor so sicher verwahrt, dass einige Gemüsesorten sogar die hüllenlosen Kollegen übertreffen, wie eine Untersuchung des Instituts Fresenius ergab. So weisen Tomaten und Sauerkraut aus der Dose deutlich mehr Vitamin C auf als in der frisch gegarten Variante – dem gesunden Genuss steht also nichts entgegen.
RESTLOS GLÜCKLICH e. V. Berlin isst fürs Klima – Mitmachaktion. Kartoffelnachernte, Joris Felix Patzschke
In der Fabrik
Die Sache mit dem MHD
Zwischen 60 und 80 Tonnen Äpfel verarbeitet der Tortenhersteller Coppenrath & Wiese täglich. Doch bis vor einigen Jahren landeten 25 Prozent der Früchte, vor allem Schalen und kleine Stücke, im Abfall. Heute nutzt das Unternehmen die Reste und produziert daraus Apfelmark und Konfitüre, die wiederum in anderen Produkten eingesetzt werden. Sei es durch geschickte Zweitverwertung, den Einsatz spezieller Maschinen und Technologien oder die biologische Verwertung von Produktionsresten: Um Lebensmittelverluste zu vermeiden, nutzt die Ernährungsindustrie schon heute ganz unterschiedliche Ansätze.

Zu den Maßnahmen gehört auch eine genaue Bedarfsanalyse, immer mehr Unternehmen setzen hier auf intelligente Prognosesysteme, die Wettervorhersagen oder das Konsumverhalten vergangener Jahre miteinbeziehen. FoodTracks nennt sich eines dieser Programme, das ein Münsteraner Start-up speziell für Bäckereien entwickelt hat. Die Software analysiert vorhandene Daten, bezieht Faktoren wie Wetter, Ferientage oder Rabattaktionen mit ein und hilft den Bäckereien so die tägliche Brotbackmenge zu bestimmen.

Aller Planung zum Trotz bleiben auch in der Ernährungsindustrie Lebensmittelverluste nicht aus – etwa durch Beschädigungen beim Lagern und Transport der Waren oder beim Produktionsprozess. Ein Risiko, das sich mit der Weißblechdose deutlich minimiert: So fand die in Italien ansässige „Experimental Station for the Food Preserving Industry“ (SSICA) heraus, dass die Nahrungsverluste beim Abfüllen mit konkurrierenden Verpackungsmaterialien 20 Mal höher sein können als mit der Lebensmitteldose. Anders als bei anderen Verpackungen können zudem Schläge oder Stöße der Dose nichts anhaben und selbst bei einer Überproduktion sind die Lebensmittel dank der extrem langen Haltbarkeit vom drohenden Ende im Abfall meilenweit entfernt.
Martin Schott und Raphael Fellmer vom Unternehmen SIRPLUS
Gerade das Mindesthaltbarkeitsdatum stellt die Industrie vor eine Herausforderung: Es gibt an, bis zu welchem Datum der Hersteller seine Gütegarantie gewährleistet, wird von den Verbrauchern aber häufig als Wegwerfdatum interpretiert. Immer mehr Unternehmen arbeiten daher mit einem zusätzlichen Hinweis auf der Verpackung wie „Oft länger gut“ oder „Aber oft länger genießbar“. Auch der Joghurthersteller Danone ergänzt seine Etiketten entsprechend und richtet sich zudem mit einem speziellen Online-Shop an seine Handelspartner: Hier finden Groß- und Einzelhändler Produkte mit einem kürzeren MHD zu vergünstigten Konditionen, der Lagerbestand wird in Echtzeit aktualisiert.

Auch durch falsch bedruckte oder befüllte Verpackungen, Saison- und Aktionsware bleiben in der Industrie qualitativ einwandfreie Lebensmittel übrig, die nicht mehr auf dem üblichen Weg vermarktet werden können. Diese Überschüsse spenden viele Hersteller an Organisationen wie die Tafel – doch auch hier sind die Aufnahmekapazitäten begrenzt und oftmals dürfen Waren mit abgelaufenem MHD nicht angenommen werden. Eine sinnvolle Ergänzung zur Tafel bietet das Berliner Unternehmen SIRPLUS: Es nimmt Herstellern, Supermärkten und Gastronomen überschüssige Produkte zu einem symbolischen Geldbetrag ab und verkauft sie zu günstigen Preisen über lokale Rettermärkte und einen Online-Shop. „Die Unternehmen leisten nicht nur einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung, sondern sparen auch Entsorgungskosten“, erzählt Geschäftsführer Raphael Fellmer. Sein Team aus Ernährungswissenschaftlern und Lebensmitteltechnologen führt sensorische und mikrobielle Tests durch, bevor die geretteten Lebensmittel in den Verkauf gehen.

Auch wenn Lebensmittelspenden inzwischen häufig genutzt werden, begegnen viele Produzenten dem Thema mit Vorsicht, denn die Haftungsfrage ist nicht eindeutig geklärt: Laut Produkthaftungsgesetz haftet das herstellende Unternehmen für die gespendeten Waren – selbst wenn ein Vertrag mit dem Abnehmer besteht. Viele Organisationen und auch der Bundesverband der Deutschen Ernährungsindustrie fordern hier von der Politik einen konkreten Rechtsrahmen. Italien zeigt mit dem so genannten „Guter-Samariter-Gesetz“ bereits, wie es gehen könnte: Organisationen, die Spenden entgegennehmen, werden laut der Gesetzgebung als Endverbraucher eingestuft, gleichzeitig erlischt der Haftungsanspruch gegenüber dem Spender.
An der Ladenzeile
Kampf gegen Verderblichkeit
„Ich bin Single und möchte auch gekauft werden!“ Mit diesem Spruch macht Rewe in seinen Märkten auf ein häufiges Problem aufmerksam: Bananen bleiben oft einzeln im Obstregal liegen – sie sind durchgefallen durchs Schönheitsraster des Konsumenten, der sich lieber eine „frische“ Banane vom Bündel pflückt. Und damit wieder neue Singles produziert.

Frisches Obst und Gemüse ist allein aufgrund der schnellen Verderblichkeit besonders von der Tonne bedroht. Supermärkte müssen hier schon mal erfinderisch werden, um Abfälle zu vermeiden. Einige Märkte machen sich die Zweitverwertung zunutze: Übrig gebliebenes Obst und Gemüse kommt in Früchte- und Salatbars zum Einsatz oder wird zu To-go- Produkten wie Smoothies oder Suppen verarbeitet. Mit dem Problem der kurzen Haltbarkeit beschäftigt sich auch das US-Unternehmen Apeel Sciences, das eine pflanzliche Schutzschicht entwickelt hat, die den Wasserverlust und die Oxidation bei Obst und Gemüse verlangsamt. EDEKA fördert die Innovation und bietet nach einer ersten Testphase nun in seinen Märkten Avocados, Mandarinen und Orangen mit der besonderen Schutzschicht an.

Innovationen zu unterstützen ist eine der Aufgaben, zu denen sich im Sommer 2020 einige der größten deutschen Lebensmittelgroß- und -einzelhändler verpflichtet haben: Im Rahmen der Nationalen Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Dialogforum speziell für den Handel ins Leben gerufen. Die teilnehmenden Händler verpflichten sich zur Kooperation mit sozialen Einrichtungen, der Erfassung von Lebensmittelabfalldaten und zu mindestens vier weiteren Wahlpflichtmaßnahmen wie der Förderung von Verpackungsinnovationen zur längeren Haltbarkeit von Produkten. Den Verpackungsklassiker, der nach wie vor die längste Haltbarkeit ermöglicht, haben alle Supermärkte bereits jetzt in ihren Regalen: In der Lebensmitteldose bleiben Obst und Gemüse über Jahre frisch – und das vom Feld bis in den heimischen Vorratsschrank.
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