Das Magazin der
Initiative Lebensmitteldose

Viel Luft nach oben

Sauerstoff statt Sauerkraut: Mit der Dose lässt sich sogar Luft verkaufen, wie weltweit einige Unternehmer mit wachsendem Erfolg beweisen. Was hierzulande eher der Bespaßung dient, hat anderswo einen sehr ernsten Hintergrund.

von Silvia Meixner
Peking im Frühling 2016: Die Luftqualität lässt viele Menschen verzweifeln. Die Smogwerte sind katastrophal, besonders Kinder leiden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO verzeichnete im vergangenen Jahr Werte, die die zulässigen Höchstwerte der Belastung durch Feinstaub und Smog um das 17-fache überstiegen. Viele Pekinger verwenden Mund-Nasen-Masken, wie man sie aus dem Krankenhaus kennt. Großen Schutz bieten sie nicht, aber sie helfen ein wenig und beruhigen.

Die Menschen mit ihren geplagten Lungen sehnen sich nach ein bisschen frischer Luft. Aber wer frei durchatmen möchte, muss weit vor die Tore der Millionenmetropole fahren – oder auswandern. Immer öfter herrscht in asiatischen Großstädten „Alarmstufe Rot“. Dann lassen besorgte Mütter ihre Kinder nicht mehr in den Park und freuen sich, wenn der Postbote endlich die Online-Bestellung liefert: Frische Luft aus Kanada! Das Unternehmen „Vitality Air“ offeriert Luft aus den Rocky Mountains. Die Dose vom anderen Ende der Welt kostet umgerechnet 22 Euro und garantiert 150 frische, saubere Atemzüge. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht, das Geschäft läuft trotzdem gut.

Der Unternehmer Chen Guangbiao beim Verteilen seiner Luftdosen
„FÜR CHEN GUANGBIAO IST DIE DOSENLUFT GESCHÄFTSIDEE UND HERZENSANGELEGENHEIT ZUGLEICH.“
Wer noch nie den Smog Pekings erlebte, wird vielleicht lächeln. Wer weiß, dass man an schlechten Tagen vom Fenster aus kaum bis zur übernächsten Straßenecke sehen kann, versteht, dass man sich in dieser Situation hilflos fühlt und sich an jeden Hoffnungsschimmer klammert. Für die kanadischen Unternehmer wurde aus einer Scherz-Idee ein gutes Geschäft. Im Rahmen einer Spaßauktion bei eBay füllten sie Luft in Tüten und wunderten sich selbst, dass jemand das bestellte. Eine Geschäftsidee wurde daraus, nachdem ein Kunde mehrere hundert Dollar für die gute Luft aus den Rocky Mountains überwiesen hatte. Hauptabsatzmärkte der Ware, nunmehr in Dosen verpackt, sind China und Indien, Länder, aus denen regelmäßig Fotos von Smoggeplagten die Menschen in aller Welt schockieren.
Auch der chinesische Unternehmer Chen Guangbiao hat die Dose als Geschäftsmodell zum Erfolg geführt. Er verkauft Luft aus Dosen „made in China“. Natürlich nicht die Luft aus Peking oder Shanghai. Er offeriert „gute Luft“, denn auch die gibt es in dem riesigen Land, nur eben leider nicht in den Millionenstädten. Für Chen Guangbiao ist die Dosenluft Geschäftsidee und Herzensangelegenheit zugleich, er ist so etwas wie ein grüner Apostel in einem Land, das sich dem wirtschaftlichen Aufschwung verschrieben hat. Dass die Natur dabei oft auf der Strecke bleibt, wird als Kollateralschaden hingenommen. Immer wieder spendet Chen Guangbiao Geld für Umweltschutz, der Stadt Peking hat er zum Beispiel 2.000 Fahrräder geschenkt. Seine Dosen kosten einen Bruchteil der kanadischen Ware und sein Rezept ist einfach: „Öffne die Dose, trink den Inhalt direkt oder halte deine Nase nah über die Dose, um tief einzuatmen.“
Wer die saarländische Luft einatmet, soll in der Lage sein, „einwandfreies Platt“ zu sprechen.
Auch tausende Kilometer von Peking entfernt läuft das Geschäft mit der Dosenluft. In Deutschland ist die Luft zum Glück sehr gut, so gut, dass man die weltberühmte „Berliner Luft“ nicht nur an Touristen verkauft, sondern auch an im Ausland lebende Berliner verschickt. Das hilft gegen Heimweh. Und inspirierte schon einige Nachahmer, hier in Deutschland oder auch in Österreich. Diese verpacken seit ein paar Jahren Luft aus ihrem näheren Umfeld in Dosen und hoffen auf das große Geschäft. Große Investitionen sind nicht nötig; man baut eine Website, organisiert Dosen, ein hübsches Logo und wartet auf Kundschaft, die bereit ist, zwischen fünf und zehn Euro für eine Portion zu bezahlen.

Was „gute Luft“ ist, entscheidet dabei der Käufer. Ein Unternehmen aus dem Saarland preist sein Produkt zum Beispiel mit „100 Prozent bio“ an. Fröhlicher Nebeneffekt: Wer die saarländische Luft einatmet, soll in der Lage sein, „einwandfreies Platt“ zu sprechen. Auch aus Bayern kommt Gutes per Online-Bestellung: Eine bayerische Jungunternehmerin bedient mit Luft, abgefüllt im eigenen Kuhstall, die ruralen Sehnsüchte deutscher Stadtbewohner.
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